Schlaftrainer und Ergonomieberater Bjoern Steinbrink

Richtig liegen – falsch gelegen

Geschrieben von Jürgen H. Scheugenpflug | 14. Juli 2015 15:03:14 Z

Neulich, nach einer durchwachten Nacht, fasste ich den waghalsigen Entschluss, mir womöglich nach 17 Jahren eine neue Matratze zuzulegen. Einerseits um mal wieder eine Nacht durchzuschlafen, andererseits um die Heilkosten auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.

Rückenpflaster, regelmäßige Physiotherapie und der wöchentliche Besuch beim Orthopäden hatten ein unerträgliches Maß erreicht. Und weil meine Alte nur noch durch ein stabiles Spannbetttuch zusammengehalten wurde, schien mir dies als ein gewichtiges Argument für die Anschaffung einer neuen Unterlage zu sein.


Gedacht, getan. Also auf ins weltweite Netz. Ein frisch aufgebrühter Kaffee, ein Päckchen Zigarillos und Nerven wie Drahtseile sind das Paket, welches der Ratsuchende benötigt, um online zum Erfolg zu kommen.

Am ersten Tag stand zunächst die grobe Vorauswahl auf der Agenda. Ein exzellentes Tschibo-Angebot einer 7-Zonen-Tonnentaschenfederkernmatratze für unschlagbare 249.- Euro wird kaum zu toppen sein, dachte ich.

Es sei denn, man wählt die Kaltschaummatratze Finessa oder die Federkernmatratze Bommel aus dem unglaublichen Restposten-Discount – immerhin 70 Prozent günstiger. Oder die Futonmatratze Karup für geradezu lächerliche 169.- Euro. Und wenn dann noch der Geburtstagsrabatt abgezogen wird, bekommt man womöglich noch etwas raus.

Auch die Kaltschaummatratze „Luxus für Gewichtige“ und „Zauberschlaf 2000“ für jeweils beschauliche 199.- Euro versprachen Linderung der Rückenschmerzen. 199.- Euro auf sagen wir mal 15 Jahre, oder besser 25000 Stunden: das sind 0,00796 Euro pro Nacht. Also entschieden billiger als die Physiotherapie. Und das sollte einem der gesunde und gute Schlaf doch wert sein oder?

Und falls alle Stricke reißen sollten: ein kostenloser Rückversandt wird garantiert. Das macht die Sache für mich nahezu risikofrei. Allerdings für den Verkäufer auch straffrei.

Die Vorfreude wuchs täglich. Noch mal schnell bei Stiftung Warentest reingeschaut. Nur zur Verunsicherung. Da gibt es doch tatsächlich Boxspringbetten. Das war mir vorher noch nicht aufgefallen. Schon der Name lockt ungemein. Und ich erfahre zusätzlich, dass nicht jede Matratze für jeden gleich gut geeignet ist. Jetzt wird’s eng, dachte ich noch, bevor mich die Verbraucher-Stiftung schonungslos damit konfrontierte, dass nicht jede teure Matratze auch gut ist.

Sollte das heißen, dass ich für meine 199.- Euro keine Matratze bekomme, die zu mir passt? Immerhin blieb ja noch die jederzeit mögliche Rückgabe ohne Reue. Allerdings nur innerhalb von 14 Tagen. Konnte man in dieser knappen Spanne überhaupt eine verlässliche Aussage über die neu gewonnene Schlafqualität treffen?

Immerhin, so las ich in einem Erfahrungsbericht, werden 25 Prozent der gekauften Matratzen zurückgegeben. Also fast jede vierte.
Wo, so fragte ich mich, werden die verschmähten denn wohl enden? Konnte ich mit meinem Umweltbewusstsein vereinbaren, dass die Reste meines Fehlkaufes im Schredder landen? Oder werden die zurückgegebenen Unterlagen notdürftig gesäubert und dann wieder in den Handel gegeben? Könnte es sein, dass sich auf meiner Matratze libidinöse Liebschaften oder unappetitliche, erotische Spielchen zugetragen haben? Oder womöglich mehrere? Wie sollte ich da jemals guten Schlaf finden?

Am nächsten Tag bestellte ich mir via Internet eine Double-Comfort-Schaummatratze. Mit 7-Zonen-Technik, Querprofilierung für gute Klimaregulierung - Dank Wendehilfe einfach zu handhaben mit abnehmbarem Bezug und waschbar bis 60°C.
Abholbar an der Bordsteinkante, wo ich sie trotz meines lädierten Rückens in die dritte Etage schleppte. Die Nacht wurde zum Fiasko. Ebenso wie die nächste Woche. Mittlerweile hatte ich angefangen, schwer zu trinken. Völlig entkräftet entschied ich mich im Morgengrauen des 18. Tages, am Vormittag ein Fachgeschäft aufzusuchen, um mich von einem eingetragenen Fachmann beraten zu lassen. Dort, so wurde auf einigen Webseiten geworben, werde man eingehend beraten, welche Matratze zu welchen Körper passt.

Leidlich nüchtern ließ ich mich von einem Taxi zum nächst gelegenen Fachhandel chauffieren und betrat kurz darauf frohgemut das Ladenlokal. Kaum begrüßt, wurde mir ein herrlich duftender Kaffee und eine ansehnliche Auswahl backfrischer Plätzchen kredenzt.

Danach begann ich, den Anlass meines Besuches zu erläutern. Ich erzählte dem sympathischen Verkäufer frisch von der Leber, in welch rasantem Tempo sich mein Gesundheitszustand verschlechtert hatte. Ähnlich engagiert berichtete ich von regelmäßigen Arztbesuchen und meinem Abonnement in einer angesehenen Physiopraxis.

Anschaulich schilderte ich meinen hohen Leidensdruck und ließ nichts aus. Wann hat man schon einmal die Gelegenheit, über alles zu reden? Nicht einmal beim Hausarzt war das möglich. Kaffee wurde regelmäßig nachgeschenkt und der Plätzchenbestand adäquat ersetzt. Ich fühlte mich sauwohl. Schon jetzt hatte sich der Besuch beim Fachhändler für mich gelohnt.

Nach gut einer halben Stunde durfte ich mich zum weiteren Gespräch legen. Geschwächt von den letzten Nächten zuhause schlief ich gleich ein. Als ich gegen Abend wieder aufwachte, war mir gleich klar, dass sich mein Leben geändert hatte. Auf einer tollen Matratze, deren Namen ich aus verständlichen Gründen hier nicht nennen kann, war mein Schlaf erholsam.

Ich hatte herrlich geträumt und war restlos erholt. Als der freundliche Fachberater mir allerdings den Preis der Unterlage nannte, war ich darüber hinaus auch sofort wieder nüchtern.

899.- Euro sollte ich dafür berappen. Ich rechnete kurz nach: 899.- Euro für durchschnittlich 25.000 Stunden Schlaf – das wären immerhin 0,03596 Euro pro Stunde. Allerdings wurde mir vertraglich ein kostenneutraler Umtausch innerhalb von 111 Tagen eingeräumt. Und glaubhaft versichert, dass noch niemand vorher die Vorzüge der säuberlich verschweißten Originalmatratze ausprobiert hatte.

Probeweise legte ich mich im Rahmen der Beratung noch auf die eine oder andere Matratze, plauderte mit dem Fachverkäufer noch über diese und jene mögliche Krankheit und entschied mich dann zum Kauf.

Ich habe die Matratze jetzt seit fast sechs Wochen bei mir. Das Bett habe ich seit der Lieferung nicht mehr verlassen. Arztbesuche und Physikalische Behandlungen gehören der Vergangenheit an und ich werde nur noch sehr selten wach. Die 899.- Euro habe ich längst wieder eingespart, da ich auch seitdem nichts mehr esse und nur noch ab und an einen Schluck Mineralwasser zu mir nehme. Jetzt ist mir klar, dass 3,6 Cent für eine Stunde hervorragenden Schlaf nicht zu viel sind…schon die Anfahrtkosten zum Arzt oder zur Physiopraxis kämen da teurer.

Schade, dass mich meine Frau vor drei Monaten verlassen hat. Mit ihr wäre alles noch mal so schön. Mit ihr könnte ich feststellen, ob es stimmt, was ich kürzlich gelesen hatte: es geht letztlich nur um die Frau, auf der Mann liegt. Über diese Gedanken schlief ich bereits wieder ein. Gute Nacht.