Schlaftrainer und Ergonomieberater Bjoern Steinbrink

Warum Sie Ihrem Körper beim Matratzenkauf vertrauen sollten – nicht unbedingt Stiftung Warentest

Geschrieben von Canan Sahin-Mester | 15. April 2016 11:07:34 Z


Mein Name ist Canan Sahin-Mester, ich bin staatlich anerkannte Physiotherapeutin und habe einige Jahre in der Praxis gearbeitet. Jetzt bin ich als Dozentin an einer privaten Schule für angehende Physiotherapeuten tätig.

In diesem Beitrag möchte ich gern aus meiner Perspektive als Physiotherapeutin auf die von Stiftung Warentest durchgeführten Tests eingehen und speziell einen fachlichen Beitrag zum Thema "Matratzen und Lattenroste" leisten.

Das Problem mit One-fits-all-Matratzen kurz und knapp auch auf YouTube:

Testkriterien der Stiftung Warentest

Beim ersten Lesen der Testergebnisse ist mir eine Sache gleich ins Auge gefallen: Die Testkriterien sind leider in keiner Weise realistisch. Stiftung Warentest geht von vier klassischen Körperformen aus. Ich denke, jede (auch nicht medizinisch ausgebildete) Person weiß, dass es weitaus mehr als nur vier Körpertypen gibt!

Belassen wir es zunächst trotzdem bei den "nur" vier Körpertypen X, A, T und I. Diese vier Typen müssen außerhalb ihrer Körperform auch auf vielen anderen Gebieten individuell betrachtet werden wie der Größe, dem Gewicht, dem Schlafverhalten, dem Alter, der Krankengeschichte und vielem mehr. Es kann, wenn man auch nur einen Teil dieser Sachverhalte betrachtet, KEINE Matratze geben, die für alle vier Typen geeignet ist.

Für jeden Mensch die richtige Matratze

Um für jeden Menschen eine geeignete Matratze zu finden, müssen viele Kriterien betrachtet werden, aber in erster Linie ist es wichtig, was der Kunde sich wünscht und welche Probleme er eventuell derzeit mit seiner aktuellen Matratze hat.

Um die für ihn geeignete Matratze zu finden, kann man auf qualifiziertes Personal nicht verzichten. Denn nur ein Experte kann in Kommunikation mit dem Kunden auch wirklich alle relevanten Aspekte besprechen – was bei einer Testreihe von Stiftung Warentest einfach nicht möglich ist.


 

Welche Erkrankungen sind beim Matratzenkauf zu beachten?

Mögliche Krankheiten spielen eine große Rolle, wenn man eine neue Matratze kaufen möchte. Leidet der Kunde zum Beispiel häufig an Rückenschmerzen, einer Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung) oder hatte er schon einmal einen Bandscheibenvorfall? Oder hat der Kunde einen gesunden Rücken – dann soll dies auch durch die Wahl seiner Matratze so bleiben.

In einem qualifizierten Informationsgespräch sollte der Berater zwingend auf die körperliche Verfassung und auch auf die Schlafgewohnheiten des Kunden eingehen.

Bei Übergewicht könnte ein höherer Härtegrad gewählt werden, und die Matratzenhöhe sollte zum Beispiel altersgerecht angepasst werden. Matratzen für Senioren sind oft höher, um den Einstieg ins Bett zu erleichtern.

Für Allergiker gibt es spezielle Matratzen und auch das Vorliegen eines Hüftproblems oder einer Refluxkrankheit kann die Wahl der Matratze beeinflussen. Je nachdem, ob der Kunde Seiten-, Rücken- oder Bauchschläfer ist, sollten unterschiedliche Matratzen ausgesucht werden.

Welche Matratze wirklich zu einem Kunden passt, kann man endgültig nur nach einem Beratungsgespräch und ausreichendem Probeliegen beantworten und nicht durch ein Testurteil “sehr gut” bei Stiftung Wartentest. Dies bedeutet, man muss nicht die Frage beantworteten "Zu welchen Körpertypen zählt der Kunde?", sondern: "Welche körperlichen Voraussetzungen bringt der Kunde mit?"

Wie wird die Gewinner-Matratze zum Gewinner?

Sieger bei Stiftung Warentest wurde eine Matratze, die in ihrer Anschaffung sehr preisgünstig ist. Beim ersten Lesen als Verbraucher klingt das Ergebnis natürlich vielversprechend und sagt einem zu.

Bei genauerer Betrachtung allerdings sollten jedem Leser Zweifel kommen. Denn wie ist dieses Ergebnis entstanden?

Nämlich so: Stiftung Warentest hat “die vier Körpertypen” auf der Gewinner-Matratze probeliegen lassen und das Ergebnis stand fest. 35 von 100 Punkten erreicht. Warum? Weil die Matratze sich bei allen vier Typen leicht angepasst hat. Mal abgesehen davon, dass wir hier von gerade ein mal 35% sprechen, sollte es nicht das Ziel sein, dass die Matratze sich "ein wenig" anpasst.

Andere Matratzen im Vergleich schnitten mit einem zu 95% passendem Ergebnis ab – allerdings für nur einen Körpertypen! Für die anderen drei Typen bekam diese Matratze nur 10 von möglichen 100 Punkten und wurde daher von Stiftung Warentest schlechter eingestuft als die günstigere Testsiegervariante.

Aber sollten wir uns nicht alle eine Matratze wünschen, die zu 95% statt nur zu 35% zu uns passt? In Beziehungen und Partnerschaften geben wir uns ja auch nicht mit 35% zufrieden!

Es gibt unzählige Matratzenhersteller, die nicht nur ein Produkt auf den Markt bringen. Und das hat auch einen sehr triftigen Grund: Es gibt auch nicht nur diesen einen Kunden!
Die Matratzen haben verschieden Härtegrade, Größen, Materialien etc., um sich individuell auf das unterschiedliche Kundenklientel einzustellen. Und so sollte es auch sein.

Was eine gute Matratze leisten kann

Die Anschaffung einer guten Matratze ist nicht nur zwingend notwendig bei schon bestehenden Problemen, sondern kann auch als Präventivmaßnahme gesehen werden. Und zwar aus folgenden Gründen:
Die menschliche Wirbelsäule setzt sich aus drei Abschnitten zusammen. Der Halswirbelsäule (HWS), der Brustwirbelsäule (BWS) und der Lendenwirbelsäule (LWS).

Die drei Abschnitte haben eine physiologische Form, die sich im Laufe der Jahre verändern kann.

So spricht man zum Beispiel bei der LWS von einer Lordose, den meisten als "Hohlkreuz" bekannt. Diese Lordose ist bei manchen Menschen normal ausgeprägt, bei anderen wiederum reden wir von einer Hyperlordose. Das bedeutet, dass das Hohlkreuz deutlich stärker ausgeprägt ist als es eigentlich sein sollte. Auch gibt es die Hypolordose. Diese beschreibt die leichte Abflachung in der LWS.

Das HWS-Syndrom äußert sich in Nacken- oder Rückenschmerzen, Verspannungen oder Muskelverhärtungen. Die passende Matratze kann helfen, die Schmerzen zu lindern beziehungsweise den Symptomen vorbeugen.

Menschen, die eine Abweichung in diesen Bereichen haben – egal in welche Richtung – können somit nicht zu den vier Körpertypen zählen und würden damit schon eine fünfte und sechste Gruppe eröffnen. Wenn man dies weiterverfolgen würde, hätte man am Ende wahrscheinlich hunderte von verschieden Körperformen.

Jetzt stelle ich mir die Frage, die sich eigentlich jeder beim Lesen dieser Zeilen stellen sollte: Wie kann eine einzelne Matratze diesen vielen verschieden Voraussetzungen gerecht werden? Das ist einfach nicht möglich.

5 wichtige Tipps von der Physiotherapeutin

Was kann ich als Physiotherapeutin deshalb empfehlen? Ein fachliches Urteil über andere Warengruppen kann und will ich mir nicht erlauben, aber beim Thema Matratzen würde ich mich nicht auf das Urteil von Stiftung Warentest verlassen. Es lässt zu viele Kriterien außer Acht. Das kann gesundheitliche Nachteile mit sich bringen.

Um Sie bei Ihrer nächsten Matratzenberatung ein wenig zu unterstützen, würde ich Ihnen hier gerne noch ein paar physiotherapeutische Tipps geben:

  1. Die Matratze sollte sich der Wirbelsäule (auch mit ihren eventuell schon bestehenden Verformungen) bestmöglich anpassen.
  2. Der LWS-Bereich sollte optimal unterstützt werden und auch auf die individuelle Ausprägung zielgerichtet sein.
  3. Die Schulter sollte die Möglichkeit haben einzusinken, damit möglichst viel Gewicht des Schultergürtels über Nacht abgegeben werden kann. Denn ist das nicht der Fall, kann es am Morgen schon zu Verspannungen kommen. Und niemand möchte den Tag schon mit schmerzender Muskulatur beginnen! Besonders bei breiten Schultern ist dieser Aspekt beim Matratzenkauf nicht zu vernachlässigen. Vielleicht erkennt sich hier der ein oder andere schon wieder! Wer morgens schon Verspannungen hat, braucht in der Regel kein neues Kissen, sondern eine neue Matratze.
  4. Auch wichtig: Der Körper muss über Nacht entspannen, so dass die Gelenke, die wir über den Tag schon sehr in Anspruch nehmen, in der Nacht ein wenig entlastet werden. So kann der Körper sich regenerieren und für den bevorstehenden Tag erholen.
  5. Wichtig ist, dass Ihre Muskeln relaxen können. Auch hier ist es sehr ratsam, dass eine individuelle Beratung stattfindet. Denn jeder Mensch ist muskulär unterschiedlich aufgestellt. Studien belegen, dass z.B. Sportler mit besserem Schlaf auch zu höheren Leistungen im Stande sind.

Gesunder Schlaf, gesunder Mensch

Schlaf ist also wichtiger als die meisten glauben. Schlafentzug gilt nicht umsonst als die schlimmste Form der Folter. Der Körper regeneriert optimal, wenn er schläft. Es ist wichtig, dass wir diese Phase bestmöglich nutzen und auch die Voraussetzungen dafür schaffen. Dabei kommt es vor allem auf die Kombination von Matratze und Lattenrost an. Die Matratze gibt vor, welcher Lattenrost nötig ist. Somit ist beim Kauf einer neuen Matratze nicht zwingend auch ein neuer Lattenrost notwendig. Eine individuelle Beratung durch gut geschultes Fachpersonal wird dadurch allerdings unausweichlich.

Mein Fazit: Testurteil bedenklich

Eigentlich sollte ich das Ergebnis der Stiftung Warentest unterstützen, denn wenn sich der Großteil der Bevölkerung an diesem Testergebnis orientiert, bleiben unsere Praxen niemals leer: Früher oder später macht sich der Kauf der falschen Matratze aber sicherlich bemerkbar und dann kommen wir als Physiotherapeuten ins Spiel. Aber dies sollte nicht unsere sichere Einnahmequelle sein.